Statsraad Lehmkuhl – 2000: Bergen (N) – Sonderborg (DK)

Der erste Abend

Normalerweise sollte man ca. 1 Stunde vor Ablegen an Bord kommen, aber ich lungerte schon vorher in der Nähe herum. Es ist ein ganz eigenes Gefühl, die Gangway hochzugehen und oben von der Hafenwache empfangen zu werden. Ein paar andere sitzen und stehen auch schon herum, erste Kontakte, und es kommen immer mehr.

Irgendwann kommt per Lautsprecher oder sonst per Aufruf die Meldung, dass man sich jetzt anmelden könne. Diese Anmeldung findet im Unterdeck statt. Hier läßt man sich einer Wache zuweisen und bekommt eine Nummer und einen Schlüssel für seinen Kasten. Anhand der Nummer weiß man dann auch den Platz für die Hängematte, da die Haken ebenfalls numeriert sind, und irgendwo gibt es einen persönlichen Stauraum mit einer solchen Nummer. Bis alle wissen, wo sie hingehören, vergeht eine halbe Stunde, in der alles mehr oder weniger unorganisiert herumsteht und -läuft. Anschließend bekommt man seine Hängematte, dann wird es nochmal chaotisch, bis die alle an ihrem Platz hängen und alle ihre Siebensachen eingeräumt haben. Nach diesem Gewaltakt treibt es die ganze Bande wieder auf Deck, und kurz danach donnert das Nebelhorn und die Leinen werden losgeworfen.

… und los gehts

Bei meiner ersten Fahrt war es so, dass wir durch die Schärenwelt vor Bergen noch mit dem Motor fuhren. In dieser Zeit fand auch die Einführung vom Sergeant und vom Kapitän statt, und kurz danach gab es bereits Abendessen.

Nach dem Essen wurde es das erste Mal ernst: die Segel wurden gesetzt.

Da bei dieser Fahrt nur knapp fünfzig Trainees an Bord waren (sonst: bis 150), musste die Arbeit etwas anders organisiert werden.

Losgemacht wurden die Segel wohl von Leuten der Stammcrew, das hatte ich in der Aufregung gar nicht mitbekommen. Die erste große Aktion: Auffieren der Obermarsrahen. „Jede wiegt 3 Tonnen!“, motiviert uns Jo, einer der Leichtmatrosen. Aber auch 3 Tonnen bewegen sich unter dem geballten Zug von zwanzig Leuten. Danach rennen wir von Tampen zu Tampen und ziehen, warum und wieso, wissen in diesem Moment die allerwenigsten. Ach doch, schau, jetzt dreht sich die Rah, und die beiden darüber auch. Wir Landratten freuen uns, dass wir schon was begriffen haben. Wir kennen jetzt auch schon die (norwegisch-englischen) Kommandos zum Belegen: komm smott, um den Tampen noch unter Zug in eine zum Belegen günstige Richtung zu bringen, und let go, alle lassen los und der/die vorderste belegt. Das ist zu diesem Zeitpunkt noch jemand von der Stammcrew, später nicht mehr unbedingt. (Es brachte mich einmal leicht aus der Fassung, als ich den Doppelpfiff des Bootsmannes hörte und kurz danach das „Make fast!“, und feststellte, dass nicht wie gewohnt einer der Crew vorne war, sondern ich war zuvorderst. Ich bin nicht diejenige, die gern herumkommandiert, aber da musste ich halt…)

Und weiter gehts, wieder schnappt sich einer der Crew ein paar Leute, und sie laufen nach achtern. Kurz danach steht dort das Besansegel.

Dann ist Ruhe, hinter uns sind die letzten Inseln zu erkennen, die Sonne steht immer noch am Horizont,

und es ist plötzlich fast 12 Uhr nachts, und ich habe 4-8 Wache und bin noch nicht müde.

Nachtruhe?

Natürlich hat nicht jeder so einen leichten Schlaf wie ich. Aber auch andere bestätigten, dass ein Großsegler kein Hort der Ruhe ist. Und ein Massenlager schon gar nicht, auch wenn immer 1/3 der Leute an Deck oder sonstwo sind. Meiner Schätzung nach schnarchten fünf oder sechs Leute, und das sind genau fünf oder sechs zuviel. Dann bollert der Dieselmotor des Generators vor sich hin, man hört das Wasser (ich hatte meine Hängematte ganz außen) und man hört auch die Wache bei der Arbeit, das Getrappel und die Pfiffe bei Segelmanövern und die Schiffsglocken, wenn der Ausguck etwas meldet. Und nicht zuletzt produziert das Schiff selbst allerlei Geräusche. Es knarrt, ächzt und quietscht überall. Wer das nicht abkann, sollte sich Ohropax oder so etwas mitnehmen.

Ein Tagesablauf aus der Sicht der 4-8 (grüne) Wache

 

Wenn man gerade eingeschlafen ist, geht das Licht auf der einen Seite des Raumes an und eine irgendwoher bekannte Stimme sagt gerade laut genug „Green watch – it´s half past three.“ Der Besitzer dieser Stimme geht ganz selbstverständlich davon aus, dass uns das beeindruckt, und das tut es auch – die grüne Wache turnt mehr oder weniger gefährlich aus der Hängematte, geht in den Waschraum und zieht sich an.

Nicht lange später steht eine leicht fröstelnde Gesellschaft an Deck, und da sind noch die von der Hundewache. Gesprächig ist keiner so richtig, und dann kommt wieder der Ruf „Grøn vakt – Green watch!“. Wir stellen uns auf der Steuerbordseite auf, der Wachleiter liest die Nummern durch und stört sich nicht wesentlich daran, wenn das „Hoi!“ mit fünf Sekunden Verspätung und ziemlich verschlafen zurückkommt. Dann werden Ausguck, Ruder und Feuerwache zugeteilt – die anderen Einsätze fielen mangels Leute aus – Rudergänger und Ausguck gehen auf ihre Posten, die anderen dürfen in die Kombüse und sich was warmes zu trinken und was zu essen organisieren. Anständigerweise denkt irgendjemand an die beiden armen Teufel, meistens jemand der „Kollegen“, und bringt denen auf Wunsch Kaffee oder Tee an den Arbeitsplatz.

Wenn keine Segelmanöver anstehen, ist es die erste Zeit recht ruhig – um die Leute mit irgendwelchen Spezialarbeiten zu beschäftigen, ist es noch zu dunkel. Aber so um sechs Uhr morgens wird das Deck abgespritzt, alle paar Tage auch mit Seifenwasser abgeschrubbt. Zwei Frauen und vier Männer „dürfen“ Waschräume und Toiletten saubermachen (doppelt so viel Männer deshalb, weil deren Waschraum viel größer ist!). Auch danach kann es sehr ruhig sein, und dann ist acht Uhr, es wird wieder gemustert, und anschliessend gibts Frühstück.

Brückenwache,Backschaft, Mann-über-Bord-Wache fielen wegen der Unterbesetzung aus.

Ausguck

steht vorn auf der Back und hält nach Objekten Ausschau, als da wären andere Schiffe, Boote, Leuchtfeuer, Tonnen. Ist was zu sehen, signalisiert der Ausguck das mit der einen Schiffsglocke, die auf der Back „steht“: Objekt steuerbords: ein Schlag, Objekt backbords: zwei Schläge, Objekt recht voraus: drei Schläge. Der Rudergänger beantwortet mit der hinter ihm befindlichen zweiten Glocke das Signal. Ein recht simples und vor allem auch stimmbänderschonendes System.

Ruderwache

steht am Steuerrad und versucht, den vorgegebenen Kurs möglichst genau zu halten. Die Statsraad hat ein hydraulisches Rudersystem, was sich (unter anderem) auswirkt wie die Servolenkung beim Auto. Man braucht also keine dicken Arme, um am Steuerrad zu drehen. Anfangs, oder wenn man einen unsicheren Eindruck macht oder wenn größere Kursänderungen angesagt sind, steht jemand vom „Stamm“ mindestens in der Nähe, wenn nicht direkt daneben. Man muss also keine Angst haben, dass durch einen Fehler aus Unkenntnis irgendwas passiert.

Was man ins Gefühl bekommen muss, ist die Trägheit eines so großen Schiffes. Man dreht am Steuerrad, die Anzeige der Ruderstellung zeigt deutlich die Änderung an, und erstmal tut sich nichts. Man dreht also noch weiter, auf einmal schnurrt die Kompassanzeige los, und man kann gegenlenken. Ich hörte von manchen, die wie ich zum ersten Mal am Ruder standen, wie sie von „Zickzackfahren“ redeten. Aber man gewöhnt sich daran, auch daran, dass man bei manchen Windverhältnissen das Steuerrad fast loslassen kann, während man bei anderen laufend korrigieren muss.

Durch die Unterbesetzung durfte der Rudergänger zusätzlich die Glasen schlagen, was sonst zum Aufgabenbereich der Brückenwache gehört.

Feuerwache

bekommt eine dicke Taschenlampe und geht einen festen Weg auf und unter Deck immer wieder ab. Man muss kontrollieren, ob es irgendwo schmort oder brennt (was es sehr selten tut ;-) ), ob Schotts offen stehen, die nicht offen sein sollten, und ob die Temperatur der Kühlräume einigermaßen stimmt (dafür braucht es auch tagsüber die Taschenlampe, die Anzeigen sind in einer dunklen Ecke). Man sollte auch einen Blick in den jeweiligen Waschraum werfen, vor allem bei schwerer See, ob sich dort jemand seekranker hingeflüchtet hat, der/die eventuell Hilfe braucht.

andere Arbeiten an Deck

Neben allen möglichen Reinigungsarbeiten, Messing polieren, Malerarbeiten, Rostnester abklopfen, versuchte die Crew, uns das Spleißen, einige Knoten und wie man Taklinge macht beizubringen. Dass der Erfolg unterschiedlich war, hat mit Sicherheit nicht an den Matrosen gelegen. Recht lustig ging es zu, als wir üben konnten, eine Wurfleine möglichst weit geradeaus zu bekommen (dazu sollten wir einen ca. 5 Meter entfernt stehenden Eimer treffen), und als Haakon, einer der Matrosen, mit uns einige Shanties übte und uns über die Entstehungsgeschichte von Shanties generell und von manchen im speziellen sowie deren Gebrauch aufklärte. Bei einer dieser „Singstunden“ gab sich auch Kapitän Seidl die Ehre, der ebenfalls gut bei Stimme ist und dann im Wechsel mit Haakon den Vorsänger machte. Haakon liess auch Trainees seiner Wache bei einem Segelmanöver zu „What shall we do …“ am Tampen ziehen, er selbst machte den Vorsänger, und man sah sofort, wie sich die Leute beim Ziehen synchronisierten. Dabei stellten sie auch fest, dass zumindest dieses Lied gemeinhin zu schnell gesungen wird.

Wenn es sonst nichts zu tun gab, konnte man sich einige Tage damit vergnügen, Tausendfüßler zu knüpfen. Die beiden Schnurpaare waren elend lang, aber irgendwann hatten wir sie vollgeknüpft.

Arbeit im Rigg

Der Großmast der Statsraad ist 48 m hoch (ab Wasseroberfläche), aber soweit oben waren zwei oder drei nur beim „Probelauf“. Es mag sein, dass in der einen stürmischen Nacht ein paar der Trainees mitgeholfen hatten, die Royals zu bergen, aber ansonsten war mit den Bramsegeln Schluß, höhenmäßig. Aber auch die sind schon hoch genug oben.

Man sollte beim Queren von den Wanten auf die Rah bzw. dem Fusspferd nicht daran denken, dass man gerade keine Sicherung hat. Vor allem dann nicht, wenn die Rahen hart angebrasst sind und man ordentlich grätschen muss, um von der Leiter irgendwo Stand am Mast zu finden und dann nochmal, bis man endlich den Jackstag in die Finger bekommt. Ansonsten macht die Arbeit Spaß, ab dem zweiten belegten Segel spürte ich allerdings meine Arme und war froh, beim abklettern die Überhänge an den Salings ohne Ausrutscher bewältigen zu können.

Was bei unserer Fahrt ebenfalls vom „Stamm“ erledigt wurde, war die Arbeit im Rigg des Besanmastes. Hier konnte ich einen der beiden Leichtmatrosen bei recht artistischen Aktionen beobachten, als die beiden das Besansegel belegten.

Und sonst?

Wenn man Freiwache hat, kann man sich in seine Hängematte legen und schlafen. Ist schönes Wetter und es ist warm genug, kann man sich an Deck in die Sonne legen und dort schlafen oder zumindest faulenzen, oder sich mit den Mitseglern unterhalten. Ist es dazu nicht warm genug (auf einem norwegischen Schiff Temperaturen unter 10°C ;-) ), oder es ist schlechtes Wetter, hält man sich eher unter Deck auf, unterhält sich dort, oder liest ein Buch.

Wer halbwegs eine romantische Ader hat, ist abends bei untergehender Sonne draussen, geniesst und schweigt… Hier noch ein nettes Bild.

Meiner Feststellung nach halten sich auf Seglern viele romantische Leute auf. Bei Verhältnissen, wie sie auf dieser Fahrt herrschten, relativ warm, nur zweimal ein kurzer Regenschauer, Windstärke maximal 7 (eine Nacht), da kann man eine solche Fahrt sicher unter dem Stichwort „Aktivurlaub“ ablegen. Aber mal sehen, meine nächste Fahrt findet ende September statt…

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